Dienstag, 15. Juli 2008

Stadtbilder

Eine Stelzenskizze

Prolog. Beobachtung: Menschen machen sich bereit, kleiden sich in Kostüme kurz vor der Vorstellung – eine Parade zu Ehren des Stadtgottes. Hinter ihrem kleinen klapprigen Lastwagen steht einer der Schauspielgruppe auf hölzernen Stelzen: Fragil. Rüttelt man fest, wird er umfallen. Egal, wie professionell er mit seinem Laufwerk umgehen kann. Er ist abhängig davon, dass seine Umgebung auf ihn Rücksicht nimmt. Er darf auch nicht hastig laufen. Bedachtsam geht es vorwärts. (Rückwärts ist nur für wahre Könner).

In der Stadt sieht man viele. Viele Menschen auf Stelzen. Stelzen aus Stahlbeton. Wenn auch Hunderte von Menschen an diesen Stelzen rütteln: sie ernten nur Blicke von oben herab und bewegen nicht. Die gigantischen Stelzen jedoch bewegen sich unbemerkbar schnell. Und die Stelzenläufer vermehren sich. Das liegt daran, dass sie denen da unten in der Sonne stehen, und die da unten denken, dass es einfacher sei, ebenfalls auf Stelzen zu laufen, als die Stelzenläufer zu überzeugen, dass sie alle zusammen unten laufen könnten. Laufen ohne Hilfsmittel...

Die Stelzenläufer laufen unterschiedlich: manche geschickt, manche vorsichtig, manche rennen – kopflos vor Wahn und blind vor Angst vor der Höhe. Viele stolpern und fallen und reißen andere mit sich, die neben ihnen laufen. Manche werden von einem starken Wind umgeblasen, auf den sie sich nicht gut vorbereitet haben oder der ihnen nicht vorhergesagt wurde; sie sind nicht stehen geblieben, sondern sind weitergestakt. Manche stolpern über eine Kante, die sie von oben nicht gesehen haben. Manche werden gestoßen, weil sie anderen – schnelleren, stärkeren – im Wege stehen.

Und unten sind sie ständig darauf bedacht, dass sie nicht von den Fallenden erschlagen werden.

Epilog: Und unten wundern sie sich: ist denn jetzt das ganze Jahr über das Fest für den Stadtgott? Warum gibt es so viele Schausteller, die auf Stelzen laufen? Das ist zu viel. Ich geh’! Hab’ genug von diesem Spektakel. Ich geh’ nach Hause – zuhause ist dort, wo die Menschen frei von Göttern leben und nicht immer aufpassen müssen, dass sie keinen nervösen Stelzenläufer umlaufen.

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